Hambacher Forst – „Wir stehn dem Tagebau direkt im Weg“

Baumhaus

Neben der riesigen Baggergrube im Rheinischen Braunkohle-Revier, am Ortsrand von Morschenich im Kreis Düren leben 20 bis 30 größtenteils junge Leute in einem Protestcamp, um auf den Klimaskandal der Braunkohle-Verstromung aufmerksam zu machen. Sie  besetzen die Bäume im Hambacher Forst, um sie vor den Rodungen zu bewahren und starten Aktionen am und im  Baggerloch. Marita Boslar hat die Aktivist*innen besucht und mit Baumhausbewohner Tim Wiese* und Wiesenbesetzerin Julia X* über das Leben im Camp gesprochen. Er lebt schon jahrelang hier, sie ist erst kürzlich hinzugekommen

Wie lange bist du schon dabei, Tim?

Als ich hier ankam, dachte ich, dass ich nur für einige Wochen im Hambacher Forst bleiben würde – und jetzt „feiere“ ich demnächst drei Jahre Waldbesetzung.

– Was ist Deine Motivation, hier im Hambacher Forst auszuharren?

Es ist ein globales Interesse daran, dass die Braunkohleverstromung gestoppt wird. Denn sie ist die klimaschädlichste Energiegewinnung, die wir derzeit haben auf unserem Planeten. Und durch die Blockaden und die Besetzungen wurde auch in der Region das Bewusstsein darüber gestärkt. Gut finde ich auch, dass hier experimentiert wird. Hier kommen Menschen aus allen Teilen der Welt zusammen. Das hat den Widerstand vielfältiger, kreativer gemacht. Es gibt neue Aktionsformen, Straßentheater, „Lebenslaute“ spielten klassische Musik… Es gibt viele Gruppen, die sich auf einmal einbringen – in einem Thema, das vor vier Jahren kaum jemanden interessiert hat. Das ist auch mit einer der Erfolge der Besetzung.

– Hier gibt es keinen Strom und kein fließendes Wasser, nur eine selbstgebaute Solardusche, kein normales Klo, sondern ein Kompostklo im Wald. Wie kommt ihr damit tagaus tagein, im Sommer wie im Winter, zurecht?

Man muss sich die Frage stellen, ob nicht eher Verzicht die Freiheit sein könnte. Verzicht auf gewisse Eigentumsverhältnisse, die man halt hat. Man fängt an zu überlegen: Was hat überhaupt mein persönliches Handeln mit dem von diesem Konzern zu tun? Ich habe hier an diesem Ort die Gelegenheit, mich mit Sachen auseinanderzusetzen, auch mit mir selbst. Aber auch mit gesellschaftlichen Missständen. Und auch zu erkennen: Hej – Du bist ja auch Teil davon. Du brauchst auch das und das. Du brauchst die und die Handys, die und die Edelmetalle. So dass ich halt auf einmal anfange überhaupt zu hinterfragen: Was steckt hinter dem Produkt?

– Was gefällt dir hier sonst noch im Protestcamp Hambacher  Forst?

Wie man sich organisiert, eine selbstverwaltete, selbstorganisierte, horizontale Organisierung im Gegensatz zu einer hierarchischen, vertikalen. Und ich glaube, dass das hier einfacher ist zu erkennen und anzugehen als im „normalen“ Alltag, wo ich auch mal herkam: aus einem Arbeitsverhältnis,  wo ich jetzt glücklich raus bin.

– Wie siehst du das, Julia?

Ja, hier ist definitiv die Möglichkeit, die gängigen Verhaltensweisen mal fallen zu lassen. Es ist nicht die Ablenkung Internet da oder die Ablenkung, sich die zehntausendste Serie reinzuziehen. Da ist auch nicht gerade jemand da, der dir sagt: So, Alter, wenn du keine Kohle hast – dann kriegst du halt nichts zu fressen. Da ist man erstmal schon befreit. Das ist allerdings nur der erste Schritt. Der zweite Schritt ist definitiv ne sehr sehr große Selbstverantwortung. Tatsächlich sind Selbstverantwortung und Selbstinitiative zwei sehr wichtige Dinge, um befreit leben zu können, um auch Widerstand leisten zu können gegen die herrschenden Verhältnisse. Man muss sich, glaube ich, erst einmal von diesen Verhältnissen befreien und lösen, anstatt sie nur anzuprangern.

– Wie hat der Widerstand angefangen und wie sieht er konkret aus?

2012 wurde der Grundstein der Solidaritätsbekundung mit den hier durch die Braunkohleverstromung  betroffenen Menschen gelegt. Auch als Plattform, um sich jenseits von Petitionen dagegen zu stellen, um auch direkt anzugreifen. Durch Besetzungen, Blockaden, Sabotagen zum Beispiel. Und das hat im Endeffekt ganz gut geklappt. Wir sind ja bisher immer noch da. Vor drei Jahren hatte die Bild-Zeitung getönt: „Waldbesetzung – Es hat endlich ein Ende!“ – Und dann gab es die Wiesenbesetzung. Und es ist kein Ende in Sicht. Der Widerstand wird nicht ruhen – und die Waldbesetzung und die Wiesenbesetzung sind nur ein Teil des gesamten Widerstandes im Rheinland.

– Wie ist euer Verhältnis zu den Anwohnern der Baggergrube?

Das Wiesencamp und die Waldbesetzungen im Hambacher Forst basieren auf deren Unterstützung von außerhalb. Wir stehen dem Tagebau direkt im Weg, stellen uns den Rodungsarbeiten entgegen. Das ist aber  nur deshalb möglich, weil Unterstützer Artikel schreiben, Pressearbeit machen und uns Lebensmittel bringen. Sie kommen zu Veranstaltungen und Demonstrationen, Vorträgen und Konzerten und geben uns das Gefühl: Wir sind nicht allein. Würde diese Unterstützung nicht stattfinden, wären wir halt nicht hier.

– Mit wem seid ihr hier verbündet?

Mit zahlreichen Bürgerinitiativen, die schon seit zwanzig, dreißig Jahren gegen den Betreiber – damals Rheinbraun, heute RWE –wettern, mittels Petitionen. Denen stellen wir uns zur Seite. Sie sind die direkt Betroffenen. Es sind Bauern, die ihre Agrarflächen verlieren, aber auch Schulen oder Kindergärten, die einfach aufgelöst werden durch diesen Betreiber. Es ist ein riesiger Widerstand, der die ganze Zeit am Brodeln ist, was man im ersten Augenblick gar nicht so wahrnimmt. Aber er ist vorhanden, und wir sind ein Teil davon. Und selbst wenn wir geräumt werden, ist es nicht das Ende. Es geht halt einfach weiter

– Manchmal hört ihr aus der Bevölkerung hier, ihr kämt leider dreißig Jahre zu  spät. Der Braunkohlebagger habe doch sein Werk fast schon  getan. Was antwortet ihr darauf?

Dass andere Anwohner des großen Braunkohlelochs hier sich freuen, dass jetzt junge Menschen aktiv werden und sich gegen die Klimavergiftung wehren, dass sie nicht aufgeben. Darum unterstützen sie uns mit Lebensmitteln, einer Einladung zum Baden, einem Waschgang in ihrer häuslichen Maschine.

-Was bedeutet dir das Leben im Baumhaus?

Ich habe viel gelernt im Wald.  Dort sind Individuen, die miteinander irgendwie koexistieren, obwohl sie eigentlich keine Gemeinsamkeiten haben. Aber sie schaffen´s. Und daran zu lernen – an dieser Symbiose, die die Natur uns zeigt, wie man sie nutzen kann auch, das hat mich fasziniert.

Ich hätte, als ich hierher gekommen bin, nie gedacht, dass mich das umhaut, wenn ein Baum gefällt wird. Und letztens wurden wieder so viele Bäume geräumt, und ich habe sie fallen sehen. Darin haben auch Menschen gewohnt, unsere Mitstreiter*innen. Ich habe miterlebt, wie sie inhaftiert wurden, sah sie psychisch zusammenbrechen. Die Seite muss man auch sehen, dass hier Menschen an ihre Grenzen kommen. Du weißt, dass, wenn Leute Blockaden durchführen, sie inhaftiert werden für eine sehr lange Zeit – für eine Sache, die doch völlig legitim ist!

* Ihre Klarnamen möchten die Aktivist*innen nicht publiziert sehen

Marita Boslar ist aktiv im Redaktionsteam von „alleweltonair“, dem Radioprojekt des Allerweltshaus Köln

Beitrag veröffentlicht in contraste – dem Magazin für Selbstorganisation – Printausgabe Oktober 2016.

 

 

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